Führungskräfte kennen das Gefühl, aufgrund ihrer Verantwortung ständig von hohen Strafen bedroht zu sein. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu hohe Strafen als unionsrechtswidrig angesehen (EuGH 12.09.2019, Rs C-64/18).

 

Worum ging es?

Die Andritz AG beauftragte ein kroatisches Unternehmen mit der Durchführung von Arbeiten in Österreich. Insgesamt wurden 217 Arbeitnehmer des kroatischen Unternehmens auf der Baustelle eingesetzt.

Nach Erhebungen der Finanzpolizei verhängte die Bezirkshauptmannschaft wegen Verstößen gegen das Arbeitsvertrags-Anpassungsgesetz (heute Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz) und das Ausländerbeschäftigungsgesetz Geldstrafen in Höhe von ca. 5 Millionen Euro pro Person gegen vier Manager der Andritz AG und den Geschäftsführer des kroatischen Unternehmens. Im Falle der Uneinbringlichkeit wurde eine Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu 1.736 Tagen vorgesehen.

Der EuGH sah diese hohen Strafen als einen Verstoß gegen den freien Dienstleistungsverkehr und als unionsrechtswidrig an.

 

Strafe pro Arbeitnehmer und pro Verstoß

Im österreichischen Verwaltungsstrafverfahren gilt das Kumulationsprinzip. Die Strafe wird bei einem Verstoß mit der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer multipliziert. Verstößt ein Unternehmen bei 217 Arbeitnehmern gegen eine gesetzliche Bestimmung, wird er hierfür 217-mal bestraft. Meist liegen Verstöße gegen mehrere gesetzliche Bestimmungen vor, sodass es zu derart ausufernden Strafen kommen kann.

 

Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind alle Maßnahmen, die die Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen, als Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zu verstehen.

Der EuGH sah in den Regelungen, die derart hohe Strafen auferlegen, als eine solche Beschränkung an. Die Dienstleistungsfreiheit wird hierdurch weniger attraktiv, da Strafen sowohl gegen den Erbringer von Dienstleistungen (das kroatisches Unternehmen) als auch gegen ihren Empfänger (die Andritz AG) verhängt werden.

 

Beschränkung gerechtfertigt?

Nach der Rechtsprechung des EuGH können nationale Maßnahmen, die die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit beschränken, dennoch zulässig sein, wenn

  • sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen (z.B. Verhinderung von Sozialbetrug),
  • sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten und
  • sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
 

Keine Rechtfertigung der Beschränkung

Regelungen, die derart hohe Strafen auferlegen, stehen in keinem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße, so der EuGH. Die Regelung geht weit über die Grenzen dessen hinaus, was zur Gewährleistung der Einhaltung der arbeitsrechtlichen Verpflichtungen zur Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und Bereithaltung von Lohnunterlagen sowie zur Sicherstellung der Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist.

Der EuGH geht davon aus, dass die wirksame Durchsetzung der Verpflichtungen auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen gewährleistet werden kann, wie

  • der Auferlegung von Geldstrafen in geringerer Höhe oder
  • einer Höchstgrenze für solche Strafen, und
  • ohne sie zwangsläufig mit Ersatzfreiheitsstrafen zu verknüpfen.

Die verhängten Strafen gegen die Manager sind unzulässig.

 

Entscheidung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs (VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033-0034)

Der VwGH hat nach der Entscheidung des EuGH die gegen die Führungskräfte verhängten Strafen aufgehoben. Der Gerichtshof sprach aus, dass die Wortfolge im Gesetz „für jede/n Arbeitnehmer/in“ unangewendet bleiben muss. So darf bei Nichtbereithaltung bzw. Nichtbereitstellung von Lohnunterlagen – auch wenn es um die Lohnunterlagen mehrerer Arbeitnehmer geht – nur mehr eine einzige Geldstrafe bis zum gesetzlich vorgesehenen Höchstmaß verhängt werden. Das heißt, die Geldstrafe ist nicht – wie von der Bezirkshauptmannschaft – mit der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer zu multiplizieren.

Weiters sprach der VwGH aus, dass die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe – entsprechend den Ausführungen des EuGH – eine unverhältnismäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt und zu entfallen hat.

Wie und ob der österreichische Gesetzgeber die derzeitigen Regelungen nun anpassen wird, bleibt abzuwarten.

 

Autorin: Mag. Sylvia Unger

 

Seminartipp! Arbeitsrecht für Führungskräfte